„Och nö. Das will doch wirklich niemand sehen“

So hieß es nicht nur in der Absage von TikTok auf meinen Vorschlag, mich auf ebendortiger Plattform filmen zu lassen, wie ich nackend meine gesammelten deprimierenden Gedichte zur letzten Schalker Saison vortrage. Sondern es spiegelt auch die allgemeine Stimmung hinsichtlich der anstehenden EURO-2020-We-dont-care-it’s-fucking-2021TM wider.

Eigentlich war das ja damals eine clevere Idee vom UEFA-Michel, zum 60-jährigen Bestehen der Fußball-Europameisterschaft ein rauschendes Fest zu feiern. In gleich mehreren Städten, mit vollen Stadien und Fußgängerzonen, fähnchenschwenkenden und Lieder grölenden Fans aus allen Ländern und mehr Lebensfreude als bei Friedrich Merz, wenn er einem Obdachlosen Ratschläge für den big financial success turn around geben kann. Das Produkt Fußball mag weiterhin interessieren, aber die Umstände entwerten es beim Konsumenten. Nun, da Platini in Ungnade und die Welt der Coronapandemie anheimgefallen ist, wirkt das Ganze wie der trotzige Versuch, jetzt erst recht etwa die große Musikrevue-Tour, in der Kevin Spacey blutjungen Seemännern auf Kreuzfahrtschiffen Shanties vorgurrt, durchzuziehen. Einfach weil hilft ja nix.

Die jüngeren Leistungen der DFB-Elf pushen mich auch nicht zur unerbittlichen Schland-Ekstase: 0:6 gegen Spanien, 1:2 gegen Nordmazedonien (man möge sich das Ergebnis ausmalen, wenn die mit dem ganzen Land angetreten wären), die Gruppe ist blöde schwer besetzt, ein Vorrundenaus durchaus vorstellbar. Dabei habe ich Südkorea bei der WM 2018 noch nicht verarbeitet! Wenigstens sind wir beim Turnier dabei, was man von folgenden Kickernationen nicht behaupten kann:

Island: Die hören ihr HU eben auch lieber dicht beieinander gestaffelt und in voller Stammstärke. Mit Maske vorm Mund und alleine im Rund gemahnt das eher an einen sanften Furz, der müde in der Windel verpufft.

Griechenland: Nach 2004 beständig das Team, das für mich durch unattraktives UND erfolgloses Spiel bei Turnieren der heißeste Anwärter auf den goldenen gesenkten Daumen, den „Die will schon ab dem zweiten Spiel keiner mehr sehen“-Publikumspreis, war. Von daher eigentlich konsequent.

Serbien: Zäh. Sehnig. Unglamorös. Schwer bespielbar. Ist der Kroate allerdings auch, überdies zuletzt Vizeweltmeister. Darob aus reiner Brutzigkeit im zu Dreiviertel leeren Stadion Bengalos zu zünden wirkt denn auch zu gewollt auffällig.

Norwegen: Witzige Geschichte. Da schaue ich das DFB-Pokalfinale Dortmund – Leipzig und der Kommentator meint im Nebensatz: „Haaland wird die EM verpassen“. Und ich denke mir so: „Woher weiß der das jetzt schon? Der ist doch nicht verletzt, sondern hoppelt ganz fröhlich über die Weide! Ist das wie bei mir und den Einladungen zum Abiturtreffen, wo ich direkt vorab sagen kann, dass ich just an dem Termin volle Kante Magen-Darm haben werde? Nein, der Erling Braut hätt‘ sich getraut, aber Norwegen ist in der Qualifikation an Serbien gescheitert. Åch.

Belarus: Das hätte es unter dem Blatter Sepp nicht gegeben. FIFA hin, UEFA her. Der hätte einen Weg gefunden. Wie bei Katar.

Aserbaidschan: Moment, die sind doch dabei. Als Spielort Baku, aber ohne Mannschaft. Wie schlau ist das denn bitte? Nicht mal die Armenier haben sie eingeladen, um in deren Abwesenheit weiter ein bisschen was von Bergkarabach wegzuknapsen. Das ist unprofessionell, uefa-unwürdig und beschämend.

Zusammengefasst darf man festhalten: Das ist nicht mehr mein Fußball. Aber dummes Zeug darüber zu schreiben geht immer noch.

9 Gedanken zu “Vorgedanken

  1. Erster!
    Hach, da denkt man an nix Böses und dann kommt unvermittelt eine Mail, die einen an bessere Zeiten erinnert: Neuer Eintrag beim DUKEMT (solltest Du Dir schützen lassen)! Hatte ich mich da eintragen lassen oder wurde ich über andere Wege auf die Liste der Erleuchteten gesetzt? Egal, Hauptsache ich habe es mitbekommen.
    Und besser als der letzte Satz kann man mein Interesse an der EM2020 nicht beschreiben, nur muss ich s/schreiben/lesen drüber laufen lassen.
    Ansonsten werden diese Texte (und vielleicht auf Gedichte) wieder das einzige Highlight der Veranstaltung bleiben, denn ich gehe auch davon aus, dass das Luxusdomizil der DFB-Elf nur bis kurz nach der Vorrunde gebucht werden muss.
    Ach ja, Zeit das Duplo-Sammelalbum vom letzten Jahr hervorzukramen…

  2. Der Kommentar ist nun freigeschaltet, sorry für die Unannehmlichkeiten. Das kommt wohl davon, wenn man einen Blog eine gute Handvoll Jahre nicht befüllt.

    Ob das DUKEMT (hey, das hat was!) wirklich kommt, ist allerdings noch nicht sicher; die Vorgedanken sind da eher ein Testballon, ob mir was einfällt, ob es mir Spaß macht, ob ich es zeitlich hinkriege ohne mich quälen zu müssen, etc. Ich hatte ehrlich gesagt komplett vergessen, dass es Erleuchtete gibt, die sich per E-Mail über neue Posts benachrichtigen lassen 😉

    Aktuell versuche ich, ein paar Berichte schon mal vorab zu schreiben, um einzuschätzen, wie das hinhaut, heute Abend geht da eventuell schon Türkei gegen Italien raus. Also nicht erschrecken. Und auch nicht zu traurig sein, wenn mich die DFB-Elf wieder so enttäuscht, dass ich gar nichts mehr schreiben will.

  3. Ich freue mich, dass ich diesen rss-feed nie gelöscht, und er plötzlich wieder lebt! Danke für die schönen Wortketten, sie werden mich sehr erheitern, dessen bin ich sicher. Schönes schreiben wünsche ich!

    1. Willkommen zurück! RSS-Feeds sind ja ziemlich uncool geworden, meine ich gelesen zu haben. Umso berührender, dass Menschen ihrer nicht überdrüssig werden, obwohl sie gefühlt Äonen hindurch beharrlich keinen Piep mehr von sich geben. Anders als beim klassischen OTTO-Witz, wo ein Typ mit einem Brathähnchen unterm Arm zum Arzt geht und fragt, ob noch was retten ist, wird auch keinen Wert auf die Einschätzung eines Dritten gelegt.

      Das ist Leidenschaft, das ist Treue, das rührt mich, dafür schreibe ich den ganzen Scheiß doch, herrgottnochmal!

      1. RSS ist eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten sich im Internet zu informieren, wenn man nicht Wahnsinnig werden möchte. Oder Schlimmeres.

        Jedenfalls von Herzen „Danke“ für die Mühe, den gesunden Humor und dem was Du mit der Sprache machst.

  4. Das EM-Tagebuch lebt noch! Was ein Glück – ich hatte wirklich befürchtet, die ganzen Spiele selber schauen zu müssen… Ich freue mich.

    1. Und für mich ist es ein Glück, wieder die alten Freunde des Tagebuchs begrüßen zu dürfen! Ob ich jedes Spiel schauen werde, mag ich nicht garantieren (Stichwort Magenta TV exklusiv), Nachberichte bin ich mir ebenfalls nicht sicher, aber für einen Eintrag zu jedem Gekicke wird es reichen.

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