„Oppa? OPPA, wir müssen reden. Mach dieses furchtbare „Äääääässääääässs Heeiiii„-Geheule aus und komm gefälligst runter!!!“. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass es ein schwerer Fehler gewesen war, mit meiner Enkelin Khaleesi Kunigunde die jüngeren Endrunden-Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und England im Fußball durchgegangen zu sein.

„Das Kind sitzt in seinem Zimmer und heult wie ein Springbrunnen! Brabbelt etwas von rollenden deutschen Panzern, Battle of Britain, kein Fußbreit dem Tommy und jeder Tritt ein Britt. Was erzählst du für einen Scheiß?“

„Also, das mit den Panzern kramt die englische Presse immer raus, von uns kommt das nicht. Mit Battle of Britain meint man die Luftschlacht über England im Jahre 1940 und nicht das Fußballspiel England gegen Schottland, wie hierzulande oft geschrieben wurde. Sogar der Autor dieses ansonsten absolut korrekt kompetenzfreien EM-Tagebuchs hat das einfach übernommen, obwohl der bestimmt noch ein paar alte Weltkrieg-Flugaction-Sims für den PC auf seinem Pile of Shame rumliegen hat, der junge Lauser! Kritischer Umgang mit Journalismus und nicht einfach T-Online News abpausen, so wichtig heutzutage! Der Rest sind, ähem, historisch korrekte Schlachtrufe? Geschichtsbewusstsein, so wichti..“

„Weshalb bitteschön darf die Kleine nicht mehr Jack Grealish anhimmeln, sondern stattdessen nur noch Goldknie-Bodo, Poserboy Andy, Kämpferherz Kuntz und Kontergott Müller?

„Das sind bedeutende historische Persönlichkeiten, keine Schönlinge mit drapiertem Haar und Instagram-Herzchen. Goldknie-Bodo Illgner hat uns 1990 im Elfmeterschießen gerettet, Poserboy Andy Möller 1996 in Wembley daselbst den schönsten Elfer verwandelt. Und wenn du wüsstest, was der Stefan Kuntz sich damals von den Engländern wegen seines Namens hat anhören müssen – aber der hat drauf geschissen und das wichtige 1:1 erzielt, nachdem wir schon ganz früh hinten lagen. Ich sage nur vulgär für Venushügel samt Anhang, aber nicht mit V und in Mehrzahl! Da würden dem schönen Jack die Strähnchen abfallen und er direkt weinend vom Platz rennen. Schließlich Müller, Achtelfinale 2010, beim 4:1. Erst kick and crush baby und dann sauber weggekontert, hach! Auch ein sehr attraktiver Mann, der Müller. Knochig, sehnig, bajuwarisch hallodrihaft. Okay, man muss drauf stehen, ein Sonderfall.“

„Hast du wenigstens nicht nur einseitig die Deutschen in den Himmel gehoben?“

„Klaaar. Etwa wie der Engländer uns in der Quali zur WM 2002 mit 1:5 in München weggehobelt hat. Die haben daraufhin sicherheitshalber das Olympiastadion abgerissen, damit das nicht nochmal passiert. Spoiler: Wir kamen in Südkorea/Japan bis ins Finale, der Engländer flog im Viertelfinale raus. Oder das 0:1 bei der EM 2000, ganz schlimm! Da hätte ich denen wirklich gegönnt, über die Vorrunde hinauszukommen. Sollte halt nur nicht sein.“

„Oppa, du gehst jetzt hoch und bringst das wieder in Ordnung!“

„Okay, okay. Gucken wir halt ein paar TikTok-Videos, wie David Beckham den einen Elfmeter verschießt und montieren den Kopf eines abwechselnd lachenden und weinenden Jack Grealish oder Phil Foden drauf“

„OPPPA. WEHE!“

„Ach, da fällt mir ein: Ist Kylian Horst Heiner schon wach?“

„Nein. Warum?“

„Mein Tipp: Lass den Buben heute aus der Kita. Kinder können grausam sein“

Wie dieser charmante Rückblick verdeutlichen möchte, haben wir gegen die Kicker von der Insel immer gut ausgesehen, wenn es um die Wurst ging. Und heute geht es um die Wurst, denn danach steht im Viertel- und Halbfinale eher leicht Verdaulicheres an, wenn man nach dem Namen geht. Immerhin: Als große Fußballnation können wir uns nicht mehr blamieren, das hat der Franzose schon erledigt. Meine Bitte: mal nicht früh in Rückstand geraten. Nicht dem gerade schwer angesagten Trend folgen, sich einen Zwei-Tore-Vorsprung noch nehmen zu lassen. Dem Engländer von Herzen ein paar Lattentreffer gönnen. Jadon Sancho kaltstellen, so ihn Southgate wirklich als Überraschungsgast bringen sollte. Ansonsten: Einfach mal ohne Drama gewinnen.


It’s over. Das war’s Jogi, das war’s Deutschland. Insgesamt ein enttäuschendes Spiel der DFB-Elf. Weil man sich einfach zu wenig getraut, zu wenig riskiert, es nicht darauf angelegt hat, die Engländer zu schockieren. Sondern auf Sicherheit gespielt und auf ein Weiterkommen mit der einen verwandelten Chance gehofft hat. Die hatte aber der Engländer eine Viertelstunde vor Ende, welche Sterling zum 1:0 nutzte.

Klar hatten die Deutschen auch Chancen; Werner scheitert an Pickford, Havertz bringt einen strammen Schuss aufs Tor und Müller hätte das typische „Der Deutsche kommt doch noch zurück“-Tor machen müssen, das den Engländern den richtig tiefen Stich ins Herz versetzt hätte. Insgesamt aber doch zu wenig. Es fehlte das Glück, um sich wieder die Auszeichnung „Turniermannschaft“ zu verdienen, allerdings eben auch der Mut.

Jetzt sind wir Schweizer. Oder Dänen.

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