Cristiano Ronaldo strich sich mit dem Zeigefinger die linke Augenbraue glatt. An seinem pompösen Schminktisch in der Umkleidekabine hätte man eine Nadel auf den Boden fallen hören können. Seine Teamkollegen blickten unter sich und schwiegen, denn ihnen war bewusst: Wer auch nur die Worte „alternde Diva“ vor sich hinbrummelte, wurde zum Swimmingpool des Quartiers geschickt, um dort sein liebstes Handy hineinwerfen zu müssen.
Über 60.000 Zuschauer in der Puskas-Arena warteten auf IHN. Die ungarische Regierung hatte zuvor voller Nationalstolz Corona den Kampf abgesagt und keine Maskenpflicht mehr im Stadion erhoben, damit ihn alle lauthals bejubeln konnten. Und er würde alle Hits spielen. Den Bubu-Blick mit dem zahnpastaweißen Lächeln. Die entschlossen weiten Schritte rückwärts vor dem Freistoß. Die stahlhart zum gleichschenkligen, spitzwinkligen Dreieck gestelzten Beine. Das heldenhafte Durchatmen. Die eingesprungene 180 Grad-Drehung beim Torjubel. Die entblößte Poserbrust. Das prachtvolle Gegockele, wenn der Pass nicht zu erlaufen war oder der Schiri keinen Freistoß geben wollte. Vielleicht auch die goldene Träne, wenn sich eine Verletzung anzukündigen schien.
Es könnte seine letzte große Tour werden, dessen war er sich bewusst. Die Saison bei Juventus Turin hatte Spuren hinterlassen, er hatte zu wenig Bälle bekommen, wurde nicht genug geschätzt und bedient. Sagten alle, mit denen er noch redete. Er dachte an Real Madrid oder gar Manchester United als weiten Bogen, der sich nun um seine Weltstar-Karriere schließen würde. Und wer war überhaupt dieser unglamorös frisierte bleiche Osteuropäer, dessen Namen nicht mal auf denselben Buchstaben endeten? Nein, Cristiano war Sönste, Cristiano war Beste und die Welt sollte es zu spüren bekommen.
Spoiler: Sehr wahrscheinlich, dass CR7 von den über 60.000 ausgebuht wird. Erschreckender Spoiler: Portugal ist nicht mehr alleine Cristiano Ronaldo. Mit Bernardo Silva (Manchester City), Joao Felix (Atletico), Ruben Dias (Manchester City), Joao Cancelo (Manchester City), Bruno Fernandes (Manchester United), Diogo Jota (Liverpool) oder der Frankfurter André Silva bzw. der Dortmunder Raphael Guerreiro können viele mit dem Ball umgehen und ihn vom Tor fern- als auch ebendort reinhalten. Da schadet es auch kaum noch, dass hinten das alte Hartholz Pepe (Porto) weiterhin umherirren darf.
Ungarn war jahrelang das Team mit dem in der grauen Hose, Gabor Kiraly. Doch aus der grauen Hose ist nun die schüttere Dose (Peter Gulacsi, RB Leipzig) geworden. Was in Sachen Performance vielleicht eine Steigerung bedeutet, in Sachen Branding allerdings zweifelsfrei ein Verlust.
Die Bundesliga ist reichlich vertreten bei den Magyaren: Zwar schaffte es der Hoffnungsträger im Mittelfeld, Dominik Szoboszlai (RB Leipzig), wegen einer Schambeinverletzung nicht zur EM, dafür stehen neben dem Torwart Willi Orban (RB Leipzig), Roland Sallai (Freiburg) und Adam Szalai (Mainz) im Kader. Für maximale Gegnerverwirrung bei Namenszurufen konnte man zudem Attila Szalai (Feherbahce) einberufen – viel Spaß der Abwehr, die da den Überblick behalten soll.
Putzige Anekdote zum Schluss: Staatschef Victor Orban hat sich in seinem Heimatdorf Felcsut eine 4.500 Zuschauer fassende Fußballstätte namens Pancho Arena in Nähe seines Wochenendhauses bauen lassen. Dort spielt der Verein Puskas Akademia FC (Tabellenzweiter der abgelaufenen Saison) und wer ist wohl Gründer und Präsident der zugrundeliegenden Akademie? Kommt ihr nie drauf…
60.000 Zuschauer machen schon ganz schön Krach, auch wenn auf dem Feld lange wenig los war. Ich habe ohne Witz die Lautstärke am Fernseher runtergedreht – man ist es halt einfach nicht mehr gewohnt.
Zwei Tore von CR7, davor ein glücklicher/ unglücklicher Abfälscher von Guerreiro/ Orban. Hat mich nicht mal triggern können. Vom Ergebnis her ein, zwei Tore zu hoch ausgefallen, das kann aber der DFB-Elf in der Endabrechnung vielleicht helfen, wenn es ganz schlecht laufen und wir zwingend Ungarn hinter uns lassen sollten.